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Menschenbilder - Bildermenschen
1986 bis 1993

o.T., Wackersdorf, 1986
Menschenmengen haben es dem Kölner Fotografen Wolfgang
Zurborn angetan. Seine großformatigen Farbfotografien
(80 x 100 cm) waren 1987 im Essener Folkwang-Museum, 1991
in Einzelausstellungen im Münchner Stadtmuseum und im
Nürnberger Centrum Industriekultur zu sehen. Sie haben
dem 37jährigen Fotografen einen guten Ruf in der zeitgenössischen
deutschen Fotoszene eingetragen.
Wolfgang Zurborn hat einen ganz eigenständigen Fotostil
entwickelt, der fotodokumentarische Aspekte mit einer ausgeprägt
subjektiven Sehweise kombiniert. Seine Farbaufnahmen sind
randvoll mit Gegenwart beladen. Sie bersten vor Buntheit,
sind mit Gesten exaltierter Vitalität und Aktion geradezu
überfüllt.- Menschen mitten aus Menschenmengen heraus
gesehen.
Karneval, Straßenfeste, die künstlichen Welten
von Freizeitparks, Open-Air-Festivals oder Sportplätze
bieten die Anlässe, bei denen sich der Fotograf mit seiner
Kamera mitten unter die Menschen begibt.

o.T., Paris, 1989
Stilistisch sind die Aufnahmen von Wolfgang Zurborn durch
die ungewöhnliche Verwendung des Weitwinkelobjektives
aus naher Distanz erkennbar. Daß er seine Fotografien
auch bei Tageslicht zumeist blitzt, verleiht ihnen eine hyperreale
Künstlichkeit. Das Blitzlicht löst die tiefenräumliche
Perspektive zugunsten einer überscharf konturierten Flächigkeit
auf. Es zieht den Bildvordergrund und Bildhintergrund unwirklich
zusammen. Plötzlich erscheint die Wirklichkeit wie eine
Collage nicht zueinanderpassender Zufälligkeiten.
Obwohl die Menschen auf diesen Bildern nie allein auftauchen
und auch fast immer aus nächster Nähe fotografiert
werden, scheint nie jemand den Fotografen entdeckt zu haben.
Sie haben so mit ihrer Selbstbehauptung im Dschungel aus Gesten
und Aktion zu kämpfen, daß ihnen keine Zeit bleibt
aufmerksam zu registrieren, was mit ihnen geschieht. Man meint
geradezu die hysterische Geräuschkulissen noch hören
zu können, die über vielen der eingefangenen Szenen
gelegen haben müssen. Vielleicht erhalten die Szenen
dieses absurden Theaters auch deshalb ihren surrealen Effekt,
weil ihrem eingefrorenen hypermotorischen Treiben in Fotoform
jeglicher Ton fehlt.

o.T., Köln, 1985
Ein starkes Element durch das diese Farbfotografien wirken,
ist ihre synthetische Farbigkeit. Es ist eine Art kollektives,
farbiges Feiertagsoutfit, ein alles beherrschender Freizeitlook,
der noch den unförmigsten Körper in Kleider zwängt
mit denen Athleten Siegerpodeste besteigen können. In
den Kulissen dieses Endlos-Theaters blättert nirgends
der Lack ab. Eine bunte Fröhlichkeit uniformiert die
Menschen und zeigt sie zugleich eingetaucht in ein Meer aus
Fremdheit. Man kann sich nur wundern, wieviel Distanz diese
Fotos im engen Rahmen ihrer Bildausschnitte unterzubringen
wissen.
Wolfgang Zurborns Fotografien tendieren trotz dokumentarischer
Züge zur Collage. Ihr Formchaos und Farbreichtum neigt
dazu, sich zu verselbständigen. Da wundert es gar nicht,
daß der Fotograf in seinen neueren Arbeiten streifenförmige
Bildsäulen aus mehreren aneinander gefügten Aufnahmen
zusammengestellt hat. Sie arbeiten mit der Tendenz zum Chaotischen
und steuern ihm durch Form- und Farbkomposition entgegen.
Das Dokumentarische ist nur noch als Rest bei genauem Hinsehen
erkennbar. In diesen neuen Fotoarbeiten ist der Übergang
von einer subjektiv-dokumentarischen Fotografie zur freien
künstlerischen Fotografie endgültig vollzogen.
Jan Thorn Prikker, KULTUR-CHRONIK, 5/1993
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