DEEN

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Im Labyrinth der Zeichen

 
Einzelausstellungen
2006 Im Labyrinth der Zeichen
Meeting with the Middle East / 9th International Photography Gathering, Aleppo, Syrien
2000 Im Labyrinth der Zeichen
Psychoanalytische Arbeitsgemeinschaft, Köln, Deutschland
1999 Im Labyrinth der Zeichen
Fotografie Forum international, Frankfurt, Deutschland
1999 Im Labyrinth der Zeichen
Museum für Kunst und Gewerbe, Hamburg, Deutschland
1997 ART NTC
Doppelausstellung Wolfgang Zurborn - Fotografische Arbeiten, Justus Mandelaub - Gemälde
Neurologisches Therapiezentrum, Köln, Deutschland
1996 Im Labyrinth der Zeichen
Staatliche Galerie Moritzburg, Halle, Deutschland
1996 Im Labyrinth der Zeichen
R(h)einblick, Köln, Deutschland
1994 Fotografien 1986-1993
Gentofte Hovedbibliotek, Copenhagen-Hellerup, Dänemark
1994 Fotografien 1986-1993
Museet for Fotokunst, Odense, Dänemark
1994 Im Labyrinth der Zeichen
ACC Galerie, Weimar, Deutschland
Gruppenausstellungen
1998 Konstruktionen der Bilder
Deutsche Fotografische Akademie, Leinfelden-Echterdingen, Deutschland
1997 Susanne Greven, Maix Mayer, Wolfgang Zurborn
Fotografische Arbeiten
f • m • schwarz galerie, Köln, Deutschland
1996 20 Years Blue Sky Gallery
Augen Gallery,, Portland OR, Vereinigte Staaten
1995 Ralph Bageritz -
11 Jahre Ehrenstr. und Umgebung
Ehrenstr., Köln, Deutschland
1995 Spiel
Galerie Article, Köln, Deutschland
1995 KÖLNKUNST 4
BBK, Köln, Deutschland
(Katalog)
1993 TATA OST
Globus Galerie, Leipzig, Deutschland
(Katalog)
 
1998 erschien die Publikation “Im Labyrinth der Zeichen”. Später wurde das Buch als EPUB veröffentlicht. Download (14,4 MB)
 

Verrätselung und Imagination

Einschnitte in die Welt der Alltagsmythen

von Peter V. Brinkemper

Mit dem Verhältnis von Fotografie und öffentlichem Raum hat sich Wolfgang Zurborn mehr als ein Jahrzehnt auseinandergesetzt. Dabei geht es ihm weder um objektive Dokumentation von Stadtlandschaften noch um journalistische Beobachtung menschlichen Verhaltens. Vielmehr stellt Zurborn auf fotografischem Wege die philosophische Frage: “Inwieweit ist für das Subjekt im digitalen Medienzeitalter ein individuelles Erkennen und Handeln im Kontext alltäglicher Öffentlichkeit noch möglich?”

Alltagswelten und Bilderwelten verschränken sich im Bewusstsein des Einzelnen dialektisch; die Ansichten der tagtäglich im Umbruch befindlichen Lebenswelt sind mit omnipräsenten Medienbildschöpfungen bis zur Unkenntlichkeit verschweißt.

Verkehrsterminals, Konzertwiesen, Stadien, Einkaufszentren, Industrie- und Freizeitparks stellen für Zurborn die Einfallszonen der Medien dar, in denen das Verhältnis von Mensch und öffentlichem Raum völlig neue Aggregatzustände annimmt. Die Aufgabe der klassischen Stadtarchitektur, urbane Orte mit Institutionen einer überschaubaren Macht zu schaffen und Plätze für die gesellschaftliche Kommunikation und Orientierung frei mitbestimmender Bürger zu gestalten, tritt völlig in den Hintergrund. Mitten in den Cities und an ihren bisherigen Rändern tauchen perfekt funktionierende Arenen der Unterhaltung, Türme des Geldes und Passagen des Konsums auf, Transiträume für Passanten und Passagiere, welche ohne Abstand und Reflexion als dichtgedrängte und zugleich isolierte Gestalten, wie zufällig, aufeinandertreffen und wieder verschwinden. Namen und Bedeutung werden diesen geschichtslos-künstlichen Welten von außen verliehen, durch vorproduzierte Events, Soaps, Marken und Slogans.

Wolfgang Zurborn hat sich an diesen Unorten umgetan. In seinen grell angeblitzten, bunt zusammengedrängten und schräg angeschnittenen “Menschenbildern” stellt er das lebendige Chaos der Individuen dar, wie sie Seite an Seite, gleichsam in Zeitlupe, ihren medialen Träumen nachhängen und dabei als “Bildermenschen” meilenweit von sich selbst, voneinander und von ihren Wunschbildern entfernt sind. Der Subtext dieser Fotografien liegt in der kombinatorischen Spannbreite zwischen dem ironisch gebrochenen dokumentarischen Substrat und seiner subjektiven Perspektivierung. Aus dem Fluß der Eindrücke werden Standbilder herausgerissen, die politisch wirken, weil sie eindringlich Fragen zum Einfluß der populären Mythen auf die individuelle Existenz aufwerfen, ohne griffige Lösungen parat zu halten. Fotografie erweist sich als ironisch collagierende Gegenkraft. Durch den “zerteilten Blick” unternimmt sie die radikale Erkundung des “Restspielraums” persönlicher Wahrnehmung und konfrontiert sie mit dem perfektionistischen Totalitätsanspruch der Massenmedien und ihrer vereinheitlichenden Bewusstseinsprägung.

Im “Labyrinth der Zeichen” stellt Zurborn dieses Konzept auf seine bisher stärkste Probe. Die Methode, disparate Wahrnehmungsperspektiven in einer Bildfläche zu komprimieren und motivische Divergenzen durch dezentrale Komposition zu unterstreichen, wird in den vertikalen Fotokombinationen ins Extrem gesteigert. Damit kann sich der ästhetische Eigenwert der perspektivischen Individuation in vollem Umfang entfalten und die visuelle Dissonanz des heutigen öffentlichen Raums freilegen.

Die radikale Ausschnitthaftigkeit der übereinander montierten Aufnahmen intensiviert den Netzwerkcharakter der Ansicht. Jedes Teilbild weist ein sinnliches Geäder scharfer und unscharfer Zonen auf; ihr jeweiliger Abstraktionsgrad schafft einen Balanceakt zwischen der Freiheit zur assoziativen Betrachtung und dem unleugbaren Bezug zur gesellschaftlichen Realität.

In den situativen Einzelbildern der Serie “Menschenbilder - Bildermenschen” wurde der kontingente szenische Zusammenhang durch ausgeklügelte exzentrische Kompositionen aufrechterhalten und zugleich durch zahllose Verweise über den Bildrand hinaus, ins Off aufgebrochen.

Im “Labyrinth der Zeichen” ist die vorgebliche Kohärenz der Welt, die vermeintliche Einheitlichkeit von Raum, Zeit und Ort grundsätzlich zersplittert. Die Fragmente alltäglicher Wahrnehmung sind bis an die Grenze des Noch-Erkennbaren reduziert. Zur Disposition stehen die Identifikation jedes einzelnen Bruchstücks und die Erschließung seiner kontextuellen Bedeutsamkeit durch den Betrachter. Zurborn: ”Die Materialien, Flächen, Farben und Linien gewinnen eigentümlichen Zeichencharakter, werden verrätselt und beginnen miteinander zu spielen, über die Grenzen der einzelnen Bildsegmente hinaus. Der Sinn dieses Rätsels besteht darin, daß es keine Auflösung gibt. Die Fotografie produziert das Labyrinth der Zeichen.”

Inszeniert wird die Auseinandersetzung des behutsam suchenden Blicks mit der Vielschichtigkeit der Welt und ihrer permanenten Veränderung, die Genealogie des fotografischen Sehens diesseits der tautologischen Klischees, ein erfindendes Anschauen, das die produktive Ergänzung des Betrachters herausfordert. Die virtuelle Szenerie, in der die Dinge sich begegnen oder aufeinanderprallen, liegt nicht mehr außerhalb des fotografischen Blicks, nicht in einer vorgegebenen Ordnung, sondern ist in der erkennenden Imagination des Subjekts begründet. Wolfgang Zurborn’s Fotografie versteht sich als Medium eines aktiven Erkenntnis-prozesses, der mit der Dynamik des letztlich unkontrollierbaren öffentlichen Raums korrespondiert. Gläserne Durchblicke, rauhe Überlagerungen, irritierende Verzerrungen, massive Blöcke und poröse Risse, verhaltene Überleitungen und gewagte Sprünge, vermeintliches Drinnen und trügerisches Draußen, semantisch ausbalancierte Konglomerate und stärker narrativ ausgerichtete Collagen, - das kompositorische Spektrum der “Labyrinth”-Arbeiten ist weitgesteckt, um die Erfahrung heutiger Alltagswahrnehmung in ihrer lebendigen Komplexität und ihrem rasant beschleunigten Wandel zu erfassen.

 

Konzept

von Wolfgang Zurborn

Fragmente realer Alltagswelten füge ich so zu Bildcollagen zusammen, daß die Zeichen, Materialien, Flächen, Farben und Linien über die Grenzen der einzelnen Bildsegmente hinaus ihr eigenes Spiel beginnen. Starre Regeln würden die Betrachter*innen bei diesem Bilderrätsel die Lust verderben, einen neugierig fragenden Blick tastend über die ganze Bildfläche gleiten zu lassen. Deswegen vermeide ich vereinfachende Ordnungsschemata, die eine eindeutige Interpretation ermöglichen könnten. Der Sinn des Rätsels besteht darin, daß es keine Auflösung gibt. Die ersehnte klare Bedeutung ist nicht erkennbar, die einem doch das wohlige Gefühl vermitteln würde, komplexe Zusammenhänge in einfachen Bildern begreifen und sich somit die Welt gefügig machen zu können. Die Verknüpfung der Bildelemente dient nicht im propagandistischen Sinn dem Beweis einer Ideologie, die Segmente wirken nicht zusammen im Dienst der Stabilisierung einer bestimmten Sicht der Welt. Die Summe ist so fragil wie die einzelnen Teile. Begriffe und Rubriken, die unsere Wahrnehmung der Umwelt kanalisieren, geraten ins Wanken. Die Irritation, hervorgerufen durch die vordergründig unlogische Verbindung der Fragmente, ermöglicht es, vertraute Räume und Objekte der alltäglichen Erfahrungswelt in einer starken sinnlichen Präsenz zu erleben, da sie aus ihren rein funktionalen Zusammenhängen herausgerissen sind.

Der Respekt gegenüber den Dingen veranlaßt mich, sie nicht allein als Rohmaterial für subjektive Bildschöpfungen zu benutzen, sondern ihnen die Möglichkeit zu geben, in diesen Konstrukten von Wirklichkeit ein Eigenleben zu entfalten. Konkrete Bezüge zur banalen Realität wirken in diesen Collagen wie ein Schutzschild gegen aufgenötigte bedeutungsschwangere Inhalte. Von der Ultra-Bedeutung des Mythos befreit erhalten die Objekte eine Binnenbedeutung zurück. Sie werden in ihrer Darstellung nicht zu zeitlosen Symbolen für die menschliche Existenz bereinigt, vielmehr sollen die Spuren der Gegenwart, mit denen sie gezeichnet sind, gesellschaftliche Wirklichkeit erfahrbar machen. Indem sich die Bilder als geschichtliche Einschnitte transparent machen, richten sie sich gegen die falsche Natur der Alltagsmythen. Diese verlieren sich im Chaos der Zeichen und werden dabei ad absurdum geführt.

Starke Ausschnitte, Unschärfezonen, Betonung von Flächen und Materialien sind die Bildmittel, mit denen ich eigenwillige Räume schaffe, die sich in der Kombination zu Labyrinthen verketten. Der Verlust der Orientierung im undurchschaubaren Zeichenwald unserer Konsum- und Mediengesellschaft kommt in diesen spürbar zum Ausdruck. „Was ist in diesen Bildern eigentlich real und was fiktiv, was ist natürlich und was konstruiert ?“

Diese Frage, die die Betrachter*innen ständig begleitet, evoziert einerseits eine gesunde Skepsis gegenüber dem Wahrheitsgehalt dokumentarischer Fotografie, macht ihn andererseits aber auch resistent gegenüber den suggestiven Wirkungen von Bildern, die überwältigen wollen, indem sie gezielt nur Emotionen ansprechen. Vom visuellen Reiz der Bildzusammenstellungen angeregt, werden sie gefordert, die Collagen zu lesen, die Fragmente in ihrer Vorstellungskraft zu ergänzen und das komplexe Geflecht von inhaltlichen und formalen Bezügen mit eigenen Wahrnehmungsmustern zu vergleichen.

Dieser Dialog wird möglich, da sich die Bilder als ganz persönliche Konstruktionen zu verstehen geben. Keine dogmatischen Tautologien eines naiven Glaubens an eine definitive Wirklichkeit behindern ihn, und er wird auch nicht erstickt im absoluten Anspruch einer subjektivistischen Weltsicht. Vielschichtige Assoziationsmöglichkeiten eröffnen sich dem Betrachter, da die Kombination der Fotografien durch die bewußte Einbeziehung des Zufalls im Entstehungsprozess einen offenen Charakter erhalten.

Wolfgang Zurborn

 

Rezensionen

Wolfgang Zurborn

iMAG, Herbst 2019

von Josef Snobl

 

Bruchstücke der Wirklichkeit

Ausstellung mit Foto-Kunst von Wolfgang Zurborn
Hamburger Abendblatt, 25.3.1999
 

Im Labyrinth der Zeichen

Wolfgang Zurborn und seine fotografischen Collagen
Hamburger Abendblatt

Wolfgang Zurborn ist kein Fotograf des Augenblicks, kein Archivar des Alltags. In den Arbeiten des Kölners, die das Museum für Kunst und Gewerbe in der Ausstellung „Im Labyrinth der Zeichen“ präsentiert, dominiert die Form, der Ausschnitt, die komponierte Alltäglichkeit. Zurborn, Jahrgang 1956, verknüpft die einzelnen Bildelemente zu einer Collage und findet derart zu einer fotografischen Formensprache. Die Arbeiten des Otto-Steinert-Preisträgers entziehen sich einer vordergründigen Deutung. Ihm ist daran gelegen, einer unübersichtlichen Welt der Zeichen, wie sie sich in unserem medien- und konsumorientierten Alltag offenbart, in seinen Collagen Ausdruck zu verleihen. Die Bedeutung dieser Zeichen wird aufgegeben zugunsten einer assoziativen Wahrnehmung ihrer Gesamtheit – der Betrachter ist frei in seiner Interpretation dessen, was er sieht, und nicht unterworfen dem, was den Zeichen im gesellschaftlichen Kontext gemeinhin als Sinn anhaftet. Der Lichtbildner als Bearbeiter sozialer Realität: Deren Versatzstücke – ein Teil eines Gesichts etwa, ein Schuh, eine Fläche, die im Irgendwo verschwimmt - collagiert Wolfgang Zurborn in seinen Werken zu einem Ensemble, in dem Fremdes wie Vertrautes aufgehoben sind. Das Museum Folkwang in Essen , das Dresdner Kupferstichkabinett und andere Häuser haben die Arbeiten des Kölners bislang in ihre Sammlungen aufgenommen.

 

Neue Foto-Motive

Ausstellung mit Werken von Wolfgang Zurborn
Kölnische Rundschau, 2.3.1996
 

Ein optischer Störfaktor

Wolfgang Zurborns Collagen im Museum für Kunst und Gewerbe attackieren Sehgewohnheiten
Hamburger Morgen Post, 6. April 1999

von Britta Lippold

Dem friedlich ruhenden Nashorn ist eine zerfallene Betonwand gegenübergestellt. Aha, es handelt sich also um ein fotografisches Anprangern der Umweltzerstörung. Oder? Das dritte Bild scheint nicht in die Collage zu passen, es zeigt die Detailaufnahme eines Fahrzeuges. „ Der Sinn des Rätsels ist, daß es keine Lösung gibt“, sagt Wolfgang Zurborn.

Mit seinen Arbeiten aus den Jahren 1991 bis 1993 stürzt der 43jährige die Betrachter im Fotoforum des Museums für Kunst und Gewerbe in ein „Labyrinth der Zeichen“, das die gewöhnliche Assoziationskette durchbricht. Vorbei ist es mit dem wohligen Gefühl, komplexe Zusammenhänge in einfachen Bildern zu begreifen und sich so die Welt gefügig zu machen. „Ich möchte mit meinen Bildern zeigen, daß Fotografie immer eine Konstruktion von Wirklichkeit ist“, erläutert der in Ludwigshafen geborene Künstler. Von Einzelbildern, die immer einen Collagen-Effekt haben, hat er drei Elemente zusammengestellt, um den Zufall zu strukturieren und einen Schutzschild gegen bedeutungsschwangere Inhalte zu errichten. „Gerade in der Fotografie meint man ja immer genau zu wissen worum es geht, die Bedeutung und Interpretation wird wichtiger als das gesehene Detail.“ Aber genau das wollte der Fotograf nicht erreichen. „Das große Problem war für mich immer, daß zwei Bilder zusammen eine Bedeutung ergeben. So stellte das dritte Bild in meinen Collagen immer den Störfaktor im scheinbar Eindeutigen dar, der zu einer ergänzenden Wahrnehmung, die das Detail ins Blickfeld rückt, führt.“

Doch so ganz ohne Bedeutung sind die Collagen Zurborns dann doch nicht. Immerhin kommentieren sie auf eindrucksvolle Weise die Massenkonsumgesellschaft, die sich im Labyrinth ihrer eigenen Zeichen bewegt. Daß dieser Kommentar teils kritisch, teils auch sehr lustvoll ist, gehört dazu. Zurborn: „Nichts ist langweiliger als eine Fotografie, die die Schönheit abschöpft und das sogenannte Häßliche außen vor läßt.“

 

Fotografie im Kontext der bildenden Kunst

Die Deutsche Fotografische Akademie traf sich vom 24. bis zum 26. April 1998 in der Filderhalle in Leinfelden-Echterdingen zu ihrer Jahrestagung
PHOTOPRESSE, 21/1998
 

Verblüffender Anschauungsunterricht

Ausstellung der Deutschen Fotografischen Akademie in Leinfelden
Stuttgarter Zeitung, 9.5.1998

von Andreas Langen

 

Matters of Fact

Photoszene 97 - Küchenpräsentationen und hochkarätige Fotografie
Stadtrevue, 10/1997

von Stephanie Bogon

 

Landschaft der Zeichen

Doppelausstellung im Fotografie Forum: Stephen Shores Amerika-Bilder und Wolfgang Zurborns Alltags-Szenen
Frankfurter Rundschau, 28. Oktober 1999

von Wilhelm Roth

Wohl jeder, der einmal mit dem Auto in den USA unterwegs war, hat fotografiert, musste aber bald feststellen, dass es auf den endlosen Highways, an den immer gleich aussehenden Tankstellen, in den anonym wirkenden Motels und Coffee Shops eigentlich nur wenig Interessantes zu sehen gibt. Und war dankbar, wenn sich plötzlich Wolken zusammenballten, ein Sonnenuntergang am Horizont stand, sich ein paar Farben interessant ergänzten oder ein schönes altes Haus sich zwischen die neuen mischte: endlich Motive für die Kamera. Sieht man mit dieser Erfahrung die Aufnahmen von Stephen Shore im Fotografie Forum, dann merkt man schnell, dass Shore gerade diese Alltäglichkeit, die Banalität, die Anonymität zum Thema gemacht hat. Seine Reise quer durch die USA von New York nach New Mexico, die hier im Bild festgehalten ist, fand 1972 statt, Shore war damals 24 Jahre alt. American Surfaces, der Titel der Ausstellung, gibt schon die Richtung an: Shore interessiert sich für die Oberfläche der Dinge. Mit seiner 35 mm-Kleinbildkamera fotografiert er Straßenkreuzungen, Läden, Reklameschilder, Betten in Motels, auch den Schmutz dort in Toiletten oder Kühlschränken, Fernsehapparate im Zimmer, immer wieder die Mahlzeiten, die er zu sich nimmt, vom Spiegelei bis zum Sandwich, und nicht zuletzt porträtiert er auch Zufallsbekannte (oder Freunde?), eine verschreckte Katze und einen knurrenden Hund. Die durchweg farbigen Aufnahmen sind bewusst kunstlos, nur selten verrät sich ästhetischer Ehrgeiz, wenn etwa eine rot-weiße Milchpackung auf einer roten Fläche steht. Die Bildformate in Postkartengröße erinnern an Amateurfotos. Aber das wäre ein Irrtum: Die Rigorosität, mit der Shore die Außenansicht der Dinge zeigt, ergibt ein eindrückliches Panorama amerikanischen Alltagslebens. Das beruhigende und zugleich unheimliche Gefühl, überall – wohin man auch reist - auf das Gleiche zu treffen, bestimmt seine Fotografien. Zusammen mit Stephen Shore, dem inzwischen vor allem durch seine Landschaftsaufnahmen (mit Plattenkamera) berühmt gewordenen amerikanischen Fotografen, präsentiert das Fotografie Forum seinen deutschen Kollegen Wolfgang Zurborn, Jahrgang 1956, also neun Jahre jünger als Shore. Eine spannende Kombination. Zurborn schöpft aus einem vergleichbaren Bildreservoir, er fotografiert im öffentlichen Raum, wandert durch die Stadtlandschaften, verfremdet aber seine Blicke in die Alltagswelt – durch Unschärfen, stürzende Linien, Spiegelungen, die Betonung von Details, so dass der Gegenstand eines Bildes manchmal kaum mehr zu erkennen ist. Zudem fügt er immer drei Aufnahmen zu einer Collage zusammen, einer Art Turm. Dadurch entstehen neue Strukturen, bestimmte Linien, Licht- und Schatteneffekte oder Farbtöne springen von Bildsegment zu Bildsegment. Der Betrachter wird in ein Labyrinth der Zeichen geführt (so der Titel der Ausstellung), ihm werden Rätsel aufgegeben, die er nicht lösen kann. Shore ist naiver als Zurborn. Auch wenn man die Dinge, die er sehr konkret zeigt, schon oft gesehen hat, sie gehören zum Leben dazu, faszinieren sogar. So austauschbar jedes Detail auf Shores Bildern zu sein scheint, zusammen ergeben sie unverwechselbar Amerika. Zurborn ist skeptischer (europäischer ?), seine Fotografien sind abstrakter, reizen die Sinne des Betrachters und seine Kombinationsfähigkeit. Shores Fototagebuch korrespondiert mit den Erfahrungen eines Lebens, das sich zwischen Autobahn und Schnellimbiss abspielt.

 

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